Louis Gurlitt

Gurlitt-Ausstellung

Ein Überblick

knorrige Eiche
Bild oben: Alte Eiche, Gurlitt-Zeichnung 1839, im Besitz der Hamburger Kunsthalle

Düsseldorf d. 22 ten Dez 1871

Mein guter Memo!
Ich habe mich recht mit Deinem Brief gefreut, u. zum Dank dafür sende ich Dir die besten Wünsche zu einem fröhlichen Fest!
Mir wird es wieder recht schwer so lange vom Hause abwesend zu sein, besonders jetzt, wo die rechten Familienfesttage herannahen. Ich hoffe mein Aufenthalt hier wird mir bei meinem späten Arbeiten von wesentlichen Nutzen und das Opfer nicht umsonst gebracht sein.
Vorläufig macht einem das viele u. verschieden­artige mehr Confuse, und oftmals möchte es scheinen, daß man den Muth verliere sich an dem Wettkampf zu betheiligen, aber das Gefühl der harten Pflicht und wiederaufleben des Selbstvertrauen, läßt mich mit Hoffnung wieder an die Arbeit gehen, und so arbeite ich so lange der Tag es irgend gestaltet, ob mit Erfolg? noch weiß ich es nicht.
Ich sehe aus Deinen Vorschlägen mich mit Kaufhändlern in Verbindung zu setzen, u. bei Kunst-Auktionen zu betheiligen, wie gerne Du helfen möchtest mir die pecunären Sorgen zu erleichtern, und nur zu gerne ginge ich darauf ein, wenn es sich machen ließe, denn die Künstlersorgen sind für eines Mannes Kraft mehr als genug. Vielleicht könnte ich Dir später ein paar Bilder zusenden, die Du am besten durch den Altgrafen, entweder an einen Kunsthändler brächtest, oder zur Auction durch denselben. Viel Erfolg verspreche ich mir nicht davon, aber man kann es versuchen.
Die Kunsthändler halten sich an diejenigen Künstler, die die neueste Richtung vertreten u. Mode sind, und zu diesen gehöre ich wie Du weißt nicht.
Meine Zeichnungen nach der Natur machen hier bei allen die mich besuchen, das größte Aufsehen, und immer muß ich hören, daß sie noch nie so strenge, und mit so vielem Verständnis gezeichnete Studien gesehen haben. Aber wie Andreas Achenbach sagte: „man kann nicht zweien Herren dienen” so mag es sein – und wie die neue Richtung ganz von der Farbe ausgeht und die Zeichnung vernachlässigt so gehe ich von der Zeichnung aus, und bleibe in der Farbe zurück und doch kann ich nur auf meinem Wege Erfolge hoffen, und vielleicht erlebe ich es noch, daß die Landschaftsmaler auch wieder zeichnen lernen müssen, was sie großentheils gar nicht können, und sich wieder an Bäume machen, die hier fast gar nicht mehr gemalt werden. Oswald Achenbach persuadirt mich ich solle die Zeichnungen bei Schulte u. Bismeyer ausstellen, damit die jungen Künstler sie sehen und wieder auf die Bäume geführt werden, er ist Prof. der Akademie hier, und meint auch es wäre durchaus nöthig daß die jungen Künstler wieder strengere Vorstudien machen müßten.

1000 jährige Eiche
Bild oben: Tausendjährige Eiche bei Jägerspries, 1839, im Besitz der Kunsthalle zu Kiel
Zum Austellen der Zeichnungen fürs große Publikum kann ich mich nicht verstehen, aber ich werde einen Theil nach Neujahr im Malkasten für die Künstler ausstellen.
Mich freut es so sehr aus Deinen letzten Briefen zu sehen, daß Du ein festes Ziel gefunden hast, nach welches Du mit Deinen Arbeiten strebst. Behalte es fest in Auge und laß Dich nicht zu sehr von den vielen Zerstreuungen, namentlich Wiens, woran schon so viele zu Grunde gegangen sind, abziehen. Die Jahre, um die Nothwendigkeit einzusehen, sagst Du ja.
Cornelius kommt nach Gotha zum Fest, und Alle freuen sich sehr auf ihn, er wird dafür sorgen, daß es heiter werde; ich wäre auch gerne dort aber scheue die Ausgabe, und bleibe, meiner Bestimmung gemäß, bis Ende Januar hier. So schließt wieder ein Jahr, und dankbaren Herzens können wir es ein glückliches nennen. Der große Kreis der Lieben ist am Leben geblieben. Krieg und Krankheit sind glücklich an uns vorübergegangen, und auch in unserem Vermögensverhältnis sind wir nicht zurückgegangen. Möge das folgende Jahr ein ebenso gutes sein. Gott erhalte unsere Mama u. uns Alle gesund.
In alter Liebe, Dein Vater
Wünsche Salm's und Allen Freunden ein frohes glückliches Neujahr. Dir vor Allem, Prost Neujahr!!!!

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(Brief von Louis Gurlitt an seinen ältesten Sohn Wilhelm (Memo) Gurltt, Professor für Archäologie in Graz - übertragen durch die Sütterlinstube Hamburg)

Anlässlich des 100ten Todestages des Malers Lous Gurlitt wurde sein Werk in einer Folge von Ausstellungen in Hamburg-Altona, Flensburg und auf Nivaagaard gewürdigt.

Gurlitt Portrait
Bild oben: Wilhelm Marstrand, Bildnis Louis Gurlitt, 1854, in Privatbesitz

Lebensstationen und Reisen des Louis Gurlitt

Louis Gurlitt wurde am 08. März 1812 als Sohn des Golddrahtziehers Johann August Wilhelm und seiner zweiten Frau Christine Helene, geb. Eberstein, in Altona geboren. Nach einem Onkel erhielt er den Namen Ludwig. Von klein auf wurde er jedoch Louis genannt, da zu jener Zeit alles, was französisch klang, vornehmer war. In der ersten Ehe des Vaters waren sechs Kinder geboren worden, in der zweiten folgten weitere zwölf. Einige von ihnen starben bereits im Kindesalter. Als Louis Gurlitt 1832 sein Elternhaus verließ, um an die Kopenhagener Kunstakademie zu gehen, waren noch zehn seiner Geschwister am Leben.

Hamburger Ausbildungszeit

1828 - 32 erhielt Gurlitt an der Malschule von Siegfried Bendixen (1786 — nach 1864) in Hamburg eine erste Ausbildung zum Künstler und Dekorationsmaler.
Da es in Hamburg und Altona an einer Kunstakademie mangelte, war das Studium an einer der Malschulen die übliche Art, den Künstlerberuf zu erlernen. Die Ausbildung bestand größtenteils im Kopieren älterer, vor allem niederländischer Meister des 17. Jahrhunderts. Naturstudien betrieben die Schüler nur auf eigene Faust.
Von Gurlitt sind aus dieser Frühphase zahlreiche Landschaftsskizzen und -gemälde erhalten. Die gängige Ausbildungspraxis des Kopierens überlagerte dabei seine Wahrnehmung der heimischen Landschaft und schlug sich in Motivwahl, Komposition und Malweise nieder.
Die frühen Mühlengemälde sind zwar an der Elbe oder in der Hamburger Umgebung entstanden, zeigen aber deutlich die Anlehnung an die Mühlengemälde des 17. Jahrhunderts, etwa die eines Jacob van Ruisdael (1628/29 - 1682) oder Meindert Hobbema (1638 - 1709).

Else
Bild oben: Carl Rahl, Bildnis Else Gurlitt(Ehefrau Louis Gurlitts), 1858, in Privat­besitz

Skandinavien und Bayern

1832 - 35 absolvierte Gurlitt eine Ausbildung an der Kopenhagener Kunstakademie und unternahm mehrere Studienreisen nach Norwegen, Schweden und Dänemark. Seine zunächst an Johan Christian Dahl (1788-1857) und den Niederländern orientierte Landschaftsauffassung veränderte sich im Umkreis der Akademie hin zu einem strengen Naturalismus.
1836/37 hielt sich Gurlitt in München auf und reiste mehrfach in die Gegend Berchtesgaden und Salzburg. Der Ortswechsel brachte ein neues Verständnis der Malerei mit sich: Gurlitt verband nun die abbildhafte Naturwiedergabe mit der in München vorherrschenden idealen Landschaftsauffassung. Es entstanden Landschaftsporträts bayerischer und nordischer Motive.
Die Jahre 1839-42 verbrachte Gurlitt wieder überwiegend in Kopenhagen. In Gunst des dänischen Königs Christian VIII. stehend, löste er mit großformatigen Gemälden dänischer Landschaften, die im Geist der Nationalromantik als „typisch dänisch“ galten; Stürme der Begeisterung aus. Gurlitts Interesse galt in wachsendem Maße dem Landschaftspanorama und der Idee, Landschaftszyklen zu schaffen.

Italien; Dalmatien, Griechenland

1838 unternahm Gurlitt eine erste Studienreise nach Oberitalien. 1843-46 hielt er sich in Rom auf und erkundete das römische Umland und Sizilien im vielen Reisen. 1852 weilte er in Dalmatien, 1858 in Griechenland. Es entstanden großformatige Panoramalandschaften.
Bestimmend für Gurlitts Landschaftsauffassung wurden seit den 1840er Jahren die von dem Naturwissenschaftler Alexander von Humboldt entwickelten Thesen zur Landschaftsmalerei:

memo
Bild oben: Bildnis der Brüder Cornelius und Wilhelm Gurlitt, 1830, im Besitz des Altonaer Museum für Kunst und Kultur­geschichte
Nach Humboldt ist es Aufgabe des Malers, den jeweils „eigentümlichen Charakter“ einer Gegend festzuhalten; der Maler solle die einzelnen Pflanzenformen in ihrer Besonderheit porträtieren, dürfe sich allerdings nicht im Detail verlieren. Das von Humboldt skizzierte Programm sahen die Zeitgenossen in den Landschaftsgemälden Gurlitts vielfach eingelöst und überzeugend umgesetzt. Der Dichter Friedrich Hebbel, mit dem Gurlitt in regem Gedankenaustausch stand, rühmte in einem dem Malerfreund gewidmeten Sonett dessen Begabung, das „Chaos der Natur siegreich zu überwinden“.

Schleswig-Holstein

In den Jahren 1861 - 64 und 1871 - 78 unternahm Gurlitt jährlich Reisen nach Schleswig-Holstein, um neue Motive für seine Gemälde zu finden und sich einen weiteren Absatzmarkt zu erschließen. Es entstanden eine Vielzahl, oft panoramatisch angelegter Landschaftsporträts, in denen Gurlitt nach den nord- und südeuropäischen nun auch die landschaftlichen Besonderheiten Schleswig-Holsteins festhielt. Durch die Wahl außergewöhnlicher Bildformate nobilitierte er die ostholsteinische Landschaft und stellte sie gleichberechtigt neben die italienische und griechische. Die künstlerische Entdeckung Schleswig-Holsteins, die mit dem Eutiner Hofmaler Ludwig Strack um 1800 ihren Anfang genommen hatte, erreichte in den Landschaftsgemälden Gurlitts ihren Höhepunkt.

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(Die wichtigsten Lebensstationen und Reisen des Lous Gurlitt, Landschaftsmaler aus Norddeutschland – aus der Ausstellungsmappe der Sütterlinstube zur Gurlitt-Ausstellung 2002)

Ukleisee bei Eutin
Bild oben: Ukleisee bei Eutin, 1876, in Privat­besitz

Düsseldorf Sonnabend 28. Okt. 1871

Meine liebe Alte !
8 Uhr 45M. Abends, bin ich nach einer sehr ange­nehmen Fahrt hier angekommen. Bewers erwartete mich auf dem Bahnhoff, theilte mir auch gleich mit, daß meine Wohnung noch nicht fertig geworden sei, u. ich auf einige Tage ihr Gast sein müsse. So erwartete mich dann in Bewer's Hause außer dem allerfreundlichsten Empfang, ein ausgezeichnetes Abendbrot.
Ich schreibe diese Zeilen 7½ Uhr in meinem Zimmer ehe ich zum Frühstück gehe, weil es sich leicht machen konnte, daß ich im Laufe des Tages schwer dazu komme; da es aber kalt bei mir ist so nimm mit dem Wenigen vorlieb, in einigen Tagen mehr. Stafleien bekomme ich von Bewer geborgt. Gott gebe Euch u. auch mir Gesundheit, und guten Erfolg. Heute will ich viele Leute besuchen.
In aller Liebe, mit den herzlichsten Grüßen an Euch Alle — Euer Alter

Ich sehe eben daß Deine Brille mit meiner zusammen in dem großen Futteral steckt ich werde sie Dir zusenden. Dahingegen habe ich die eine Skitze mit den goldigbeleuchteten Bäumen am Wasser vergessen, die Du nun wirst nachsenden müssen (Ukleisee). Mich friert sehr im kalten Zimmer, und Bewers kommen noch immer nicht zu Gange, obgleich es nach meiner Uhr über ¾9 ist.
Wenn Du schreibst laß ein paar freundliche Worte für Bewers einfließen, die gegen mich so außerordentlich liebenswürdig sind. Unterwegs hatte ich angenehme Reisegesellschaft H. Beil, Schwager von Dänkers, u. einen Herrn Gebhard (?) Bekannter von Stahrs. Beides wie mir schien, reiche Fabrikanten aus Elberfeld.

Ostholsteinische Landschaft
Bild oben: Ostholsteinische Landschaft, 1877, im Besitz des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloß Gottorf, Schleswig

Dienstag
Heute früh, meine gute Else! kam Dein Brief von Sonntag – es freut mich, daß es Euch wohl geht, und daß Du, die in unser Haus eingetretene Ruhe recht genießt. Bei mir ist es auch im höchsten Grad ruhig, meine Fenster führen schon auf einen Garten und kein Laut dringt zu mir, außer meine Clavierspieler im ersten Stock, der den ganzen Tag auf seinem Instrument jammert, höre ich nichts. Er spielt oft den Chopinschen Walzer u. ich denke dann immer an unseren Lulle.
Als ich gestern anfangen wollte zu malen, hatte ich keine Palette, ich habe sie in Gotha liegen lassen, ein Freund in meiner Nähe borgte mir eine, und so habe ich gestern u. heute fleißig untermalt. Das 2 te Bild wird morgen fertig und eben bringt mir der Tischler schon die Leinwand (aufgespannt) zu einem 3 ten Bilde und eine 4 te Leinwand bekomme ich morgen. Damit wird es dann wohl genug sein, denn die Ratzeburger Bilder werden mir auch noch zu arbeiten geben – wären sie nur erst hier! Es ist hier alles unverschämt theuer wollte ich, wie fast Alle es thun, Abends im Malkasten essen, käme ich unter 12 - 15 Groschen nicht weg. Mein Mittagstisch ist der billigste von dem ich gehört habe, die anderen zahlen 15 u. 20 Gr. leider hörte ich heute Mittag, daß der Wirth den Tisch nur bis Ende dieses Monats halten will.
Abends bin ich ausnahmslos im Malkasten und bin mit einer großen Menge Künstler, die ich bis jetzt nur dem Namen nach kannte, bekannt geworden. Ehe ich hingehe esse ich zu Hause u. trinke dort im Malkasten auch erst 2 Glas Bier, unterhalte mich, lese Zeitung, sehe beim Billard und Kartenspielen zu und gehe erst um 10 Uhr nach Hause, wo es mir dann freilich immer sehr einsam vorkommt. Aber „man gewöhnt's” sagt Bauernfeld, und so wird es sich denn auch wohl machen. Meine hartnäckige Erkältung hat mich endlich gänzlich verlassen, und mein Befinden ist vollkommen nach Wunsch, habe guten Apetit u. schlafe vortrefflich. Freilich habe ich meine Aufwärterin dahin gebracht um 7½ Uhr den Ofen zu heizen u. kann ich um 8 Uhr meinen Kaffee trinken.
Die Kinder könnten mir zu Weihnachten Ottos Buch fertig machen, und zum Weihnachtsgeschenk mir zusenden; mache sie darauf aufmerksam. Ich würde das Buch von hier an Otto weitersenden. Otto scheint sich ja sehr in London zu gefallen. Cornelius Brief sendest Du mir wohl mit Nächstem.

Holsteinische Landschaft
Bild oben: Holsteinische Landschaft, Lammerhagen, um 1863, im Besitz Staatliche Museum zu Berlin, Nationalgalerie

Mittwoch
Die Frau Jäger möchte uns gerne die Etage die zu meinem Atelier gehört vermiethen, die Leute die sie bewohnten sind dieser Tage ausgezogen. Es sind aber außer den beiden Zimmern die ich bewohne, nur 4 andere u. 2 Bodenzimmer, die Wohnung außer Atelier würde 160 Thl. kosten u. das Atelier würde dann billigere Miethe kosten, wenn es mit der Wohnung genommen würde. Iich werde noch einmal fragen, wie viel das Ganze zusammen kosten würde, um zu hören wie billig man hier zur Noth wohnen könnte, Wenn nur erst die Zeit des Aufzeichnens und Untermalens vorbei wäre, Du weißt wie schwer ich sie selbst zu Hause immer duchmache, u. nun erst hier. – Heute hab ich das 2 te Bild untermalt, u. einen großen Theil des Tages am 3 ten gezeichnet. ich habe hier ein neues Verfahren kennengelernt, um die Kohlenzeichnung auf der Leinwand zu fixiren, man übergießt die Leinwand vorsichtig mit durch Wasser verdünnte Milch. Es ist dies eine große Annehmlichkeit und erspart viel Arbeit. Wenn die Bilder untermalt sind, werde ich wieder einige Tage zum Bildersehen verwenden, u. mehrere Ateliers besuchen. Dann wird auch wohl endlich meine Kiste angekommen sein.
Ich male dann die Ratzeburger Bilder fertig, um die Untermalungen erst austrocknen zu lassen. Aber alles dies interessirt Dich wohl wenig – ich fülle aber mit dem Schreiben die Zeit von 4½ Uhr wo es dunkel wird, bis 6 Uhr aus, wo ich zum Malkasten gehe – und kann mir einbilden mich mit Dir, meine gute Else zu unterhalten – lang werden mir die 3 Monate werden, die ich von Euch getrennt sein werde, das fühle ich schon jetzt zu gut. Gesternabend habe ich viel alte Erinnerungen aus Norwegen, mit den Norweger Künstlern, die hier eine ganze Colonie bilden, neu beleben können. Es sind sehr bedeutende Künstler darunter, und erzeugt das Land zu viele, um sie beschäftigen u. ernähren zu können, weshalb sie größtentheils in Deutschland bleiben.

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(Briefe Louis Gurlitt an seine Ehefrau Else, Oktober - November 1871 – auf Motivsuche in Schleswig-Holstein, bei Eutin – übertragen durch die Sütterlinstube Hamburg)

Schloss Reinbek
Bild oben: Blick auf Schloß Reinbek, 1873, in Privatbesitz

Plauen d. 1ten Decb. 1883

Mein lieber Memo
Vor allem will ich Dir ein Lebenszeichen aus dem Elternhause u. unsere Grüße senden!
Wir sind Alle wohl und haben von der letzten Zeit einige erfreuliche Thatsachen zu berichten:
Aus beiliegenden Brief von Otto ersiehst Du, daß wir seinen Besuch in nächster Woche erwarten dürfen, denn der Brief von Lulle bringt Erfreuliches über seine Arbeit, bei Fritz ist ein Bild von mir für 300 M. u. hier beim Kunsthändler Ernst ein anderes für 650 M. verkauft, so daß dadurch unsere Ausgaben mit den Zinsen für das nächste Jahr gedeckt sind, wenn wir in derselben Weise wie in diesem Jahr leben. Fritz ist diesen Augenblick in Rom wenn nicht schon auf der Rückreise, denn am 5ten wollte er schon in Berlin sein. Seine Böcklin-Ausstellung hier wird ziemlich gut besucht auch werden Tanagrafiguren u. Paletten gekauft. Auch wird sie in den Zeitungen vielfach besprochen, theils anerkennend, theils abfällig und dies wird bei Böcklin immer der Fall sein. Else ist immer mit dem Malen beschäftigt u. hat in diesem Jahr eine ganz hübsche Summe dafür eingenommen. Cornelius ist sehr thätig und auch Hans' Geschäft scheint einigermaßen zu gehen. Das Wetter des November war herrlich, aber heute scheint es schlechter zu werden; die letzten 4-5 Abende glühte der westliche Himmel noch eine Stunde nach Sonnenuntergang wie ich es nur früher beobachtet habe, die Röthe ging selbst bis nach Osten, und ebenso war der Sonnenaufgang durch einen merkwürdigen Goldglanz ausgezeichnet — woher dies seltene Phänomen kommt mögen die Gelehrten ergrübeln.
Mama sitzt mir gegenüber und reinigt Teltower Rübchen, die morgen am Sonntagstisch genossen werden sollen, es ist still und freundlich in unserem Zimmer.
Else ist in Ausstellungs-Angelegenheiten in der Stadt, Mama u. sie werden Dir wahrscheinlich auch noch schreiben, darum schließe ich u. hoffe, diese Zeilen werden Dich, lieber Memo bei guter Gesundheit antreffen.
Die Aufnahme unseres Kronprinzen in Spanien wird Dir auch Freude machen.
In Liebe D.V.

Schloß Reinbek
Bild oben: Blick auf Schloß Reinbek, 1829, im Besitz des Altoner Museum

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Lieber Memo!
Ich bin heute Nacht erst um ½3 Uhr nach Hause gekommen aus einer sehr vergnügten Gesellschaft und soll nun schon um ½9 Uhr früh schreiben, wo mir noch all der Unsinn von gestern im Kopfe schwirrt! Dazu gehört wirklich meine an „Blödsinn grenzenden Geschwisterliebe!”
Aus unserem Leben ist nicht viel zu erzählen. Du kennst es ja, wie wir in großer Friedlichkeit von einem Tag in den anderen dämmern, jetzt Gott se Dank durch keine Sorge um Papa beunruhigt u. voller Freude über das Wohlbefinden der ganzen Familie.
Auf Ottos Besuch freuen wir uns sehr, wenn er nur etwas hier bleiben könnte und nicht schon nach 2-3 Tagen wieder abreisen muß. Ich nehme jetzt engliche Stunden bei einer jungen Londonerin, die ich dafür in die Geheimnisse der deutschen einweihe – mein ganzer Unterricht besteht darin, daß ich immerzu plaudere und sie die Worte für sich notiert, die ich falsch ausgesprochen oder nicht gewußt habe – dieselben lerne ich dann auswendig und schreibe außerdem zu Hause englische Briefe – ich habe die Empfindung recht gute Fortschritte zu machen.
Bis einmal mehr!
In treuer Liebe die Deine Else

Beste Grüße, guter Junge, Du weißt nun Alles. Ich habe eben einen langen Brief an Ludchen geschrieben u. habe daher genug. Wir leben gar nicht einsam, sondern haben so viel Besuch, daß es mir oft zuviel wird. Laß bald von Dir hören.
Deine Alte

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(Brief Louis Gurlitt's an seinen ältesten Sohn Wilhelm (Memo) Gurltt, Professor für Archäologie in Graz, und der Brief Tochter Elisabeth's (genannt Else) an Ihren Bruder, mit einem Gruß der Mutter (Else) – Transscribiert im August 2002 von Elizabeth Baars, Urenkelin von Louis Gurlitt und Dr.Dr. Peter Hohn, Sütterlinstube Hamburg e.V.)

Heidelandschaft
Bild oben: Heidelandschaft Harburger Berge, um 1870, in Privatbesitz

20. Aug. 1866 Donnerstagabend,
Ehestorf bei Harburg

Es ist diesmal Langeweile, die mich drängte, schon einen zweiten Brief zu schreiben. Das Wetter ist so schlecht, daß an Arbeiten nicht zu denken ist und dabei bin ich ganz ohne Lecture, und aus den paar Menschen hier im Hause ist kein Wort heraus zu bringen. Die Natur hier sagt mir übrigens sehr zu, schöne große Heidehügel, man kann sie auch Berge nennen, vielfach mit Wald bedeckt, interessante Sandrutschen und sehr malerische Wege und dazu die weitgestreckte Ferne mit Hamburg-Altona und die Elbe.
Die Heide, gerade in ihrem violetten Blütenschmuck ist zu prächtig. Ich wohne in einem Bauernwirthshause in dem kleinen Dorfe Ehestorf bei ordentlichen Leuten. Essen und Trinken sind gut, auch das Bett leidlich und bei günstigem Wetter ließe sich hier schon leben. Hoffentlich wird es sich doch endlich einstellen, jedenfalls bleibe ich so lange hier, bis ich den Stoff zu einigen Bildern gesammelt habe.
Salzenberg hat versprochen, mich zu besuchen und wird mir Bücher mitbringen und Dich meine allerbeste Else bitte ich, Herrn Progasky zu veranlassen, mir die gesammelte Nationalzeitung v. 12. d. M. an, wie verabredet unsere Kreuzband nachzusenden unter der Addr. Ehestorf bei Harburg bei Gastwirt Treder. Bitte ihn aber um schleunige Absendung.
Bei Cornelius kleinem Kinde sollen ich, Maria und der Schwiegervater Gevatter stehen. Die Taufe wird sein, während ich bei Donners wohne Geschenke werden dringend verbeten und sollen außer den Gevattern niemand geladen werden.
Otto bekommt zum Neujahr 72 Thl., nächstes Neujahr 144 Thl. und so immer verdoppelt, das wird uns doch immer schon eine Beihülfe sein. Der Junge ist ganz glücklich in Altona und viel belebter und heiterer geworden. Von seinem früheren mukschem Wesen habe ich keine Spur mehr bemerkt. Was macht und treibt Ihr denn in unserem schönen Siebleben? sehr bereue ich Deiner Neigung, mir erst so spät zu schreiben, nachgegeben zu haben. Wie sehr erwünscht käme mir jetzt schon ein Brief, während ich nun wohl noch manchen Tag ausharren muß, bis Dein Brief in meinen Händen ist, da er von Altona erst nach Harburg und von dorther, da kein Postbote auf hier geht, nur wenn von hier jemand die 2 Stunden entfernte Stadt besucht, mitgebracht wird -- möge er nur Gutes bringen. Soviel mir scheint, ist die Bevölkerung hier sehr damit zufrieden, preussisch zu werden. Die Leute möchten nur wissen, wie sie daran sind, so auch ein Grenzzollbeamter dieses Orts, dem die 50 Thl., welche preussische Beamte in gleicher Stellung mehrbekommen sollen, wieder sein Welfenthum leicht vergessen machen. Übrigens scheint die Annextion nahe bevorzustehen, denn alle Städte des Landes werden mit Truppen belegt. Seit ich von Siebleben fort bin, leide ich an Hämorhoiden, gestern und heute so sehr, daß ich vor Schmerz mitunter aufschreien möchte. Zeitweise ist mir das Sitzen geradezu nicht möglich. Ich habe den Caffe nach Tische schon aufgegeben und laufe trotz regnerischen Wetters stundenlang auf den Heidehügeln. Heute habe ich mir kalte Sitzbäder verordnet, die mir eine Zeitlang Linderung schaffen. Da ich seit einigen Tagen Blut verliere, so hoffe ich doch, die Anschwellungen werden sich bald legen.
Es ist stockfinster und der Regen klatscht an den Fernstern und obgleich es erst 8 ½ Uhr ist, bin ich wohl der Einzige noch Wachende im Hause, denn Gäste habe ich unten noch keine gesehen, die kommen nur an schönen Tagen aus Harburg, Hamburg-Altona, um Natur zu kriegen.
Meine Unschlittkerze brennt so trüb, daß ich meinen Augen nicht zumuthen darf, weiter zu schreiben, ohnedies hat dies Blatt seine guten Dienste gethan u. mich eine Stunde weitergebracht, laß in Berücksichtigung meiner Lage nur recht bald dem ersten einen zweiten Brief folgen u. erzähle mir recht viel von Haus u. Hof, den Leuten und besonders den Kindern.
Grüße Alle !!
Nun noch ein Sitzbad und dann Gute Nacht       Dein Alter

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(Brief Louis Gurlitt's an seine Frau Else vom 20. August 1866 während seines Aufenthalts in Ehestorf auf der Suche nach neuen Motiven und Käufern, übertragen durch die Sütterlinstube Hamburg)

Ziegelei in Ekensund
Bild oben: Ziegelei in Ekensund, 1864, Museumsberg Flensburg

Egernsund, 6 ten Juni 64

Meine beste Else!

Als ich gestern Morgen um 7 Uhr hier ankam, war das Wetter köstlich und ich machte Pläne was ich alles von den hübschen Motiven an dem Sunde malen und zeichnen wollte. Das Wasser war spiegelglatt und alles so wie ich es am meisten liebe. Der Vormittag ging mit Recognossiren hin, Nachmittags war schon wieder Wind und nichts wollte mir recht gefallen, ich machte endlich eine Zeichnung. Heute ist sehr starker Wind und Regen, ganz durchnäßt komme ich eben nach Hause und bin unentschlossen ob ich bleibe und warte, oder weiter gehe. Ich wohne im Fährhause und habe gutes Bett und Zimmer, aber theuer wird es sein, wie hier überall. Hier bei Egernsund hatten die Preußen eine Brücke geschlagen, welche das Dänische Schiff Rolf Krake zusammen zu schießen versuchte, aber ohne Erfolg, mehrere Häuser zeigen die Spuren der dänischen Kugeln.

D. 8 ten Mittwoch.

Schiffsanleger
Bild oben: Schiffsanleger in Ekensund, 1864, in Privatbesitz

Vor meinem Fenster habe ich das lebhafteste militärische Schauspiel – ich wohne im Fährhaus, die Fähre gerade vor mir, und heute den ganzen Tag werden Truppen, Munitions- und die verschiedenartigen Militärischen Wagen herübergesetzt. Die Truppen von Flensburg kommend halten sehr ermüdet kurze Rast unter meinem Fenster, um nach Broakes und der Düppelstellung weiter zu gehen, und die verlassenen Posten dem Feinde in Sonderburg gegenüber wieder einzunehmen. Nach diesen Truppenbewegungen zu schließen wird der Kampf aufs neue wieder wahrscheinlich am l2ten entbrennen. Morgen muß ich fort von hier, um mein Quartier Offizieren zu räumen.
Gestern und heute waren schöne Tage. Heute morgen 6 Uhr brachte mir ein Unteroffizier Deinen und Memos lieben Briefe, wie er an seine Addr. gelangt ist, begreife ich nicht, ich zeichnete im Freien und war hoch erfreut über die Überraschung. Daß Du, meine liebe Else unwohl bist vernehme ich mit großem Bedauern, hoffentlich sagt mir der versprochene Brief, den ich in Flensburg vorzufinden hoffe, daß es wieder besser mit Dir gehe. Wie freue ich mich über Memos sorgenlose Heiterkeit, möge er sie so lange als möglich genießen. Gestern und heute habe ich die ganzen Tage arbeiten können, und habe mehrere kleine Motive (Schiffe und Ziegeleien am Sunde) bekommen, heut Nachmittag war ich aus, der Trubel ist aber zu groß, auch fühlte ich mich zu sehr ermüdet da ich von 5 bis 11½ Uhr ununterbrochen gemalt und gezeichnet habe; ich schreibe deshalb, da ich ohnedies so schwer Zeit und Muße dazu finde — abends will ich mir noch einen Sonnenuntergang skitzieren.

Düppeler Schanzen
Bild oben: Düppeler Schanzen, zerstört im deutsch-dänischen Krieg, 1864, in Privatbesitz
Ob ich von Flensburg nördlich gehe, muß sich erst zeigen, wahrscheinlich wird es dort von Truppen wimmeln, ich werde wohl erst einige Tage nach Husum zu Emanuel gehen, um dort Geld von Hintzpeter zu erwarten, da bis auf 2 Ldor das meinige zu Ende ist. Wünschenswert für Wien wäre es allerdings, wenn ich zur Oesterreichischen Armee käme, denn bis jetzt war ich nur wo die Preußen gekämpft haben. Du kannst Dir denken wie sehr ich meine tägliche Zeitung, namentlich in dieser Zeit entbehre, hier kommt die Post alle 3 Tage und bringt dann auch ein Flensburger Blatt, das mir nur schwer zugänglich ist. Du schreibst mir, meine gute Else, ich soll die Sorgen verscheuchen und die schönen Sonnentage genießen. Das sind schwere Anforderungen, aber so gut es gehen will, werde ich es thun. Bei schönem Wetter bringt die Arbeit auch über Vieles hinweg, aber die langen Tage herumzuliegen, fern von Euch Allen die ich liebe, wird mir sehr schwer, mit jedem Jahre schwerer und die Sorgen sind sehr zudringlicher Natur, jagt man sie zur Thür hinaus, kommen sie zum Fenster wieder herein. Meine Gesundheit ist unberufen sehr gut, die viele Bewegung hat den mich sonst unablässig plagenden Gliederschmerz ganz verscheucht. Ich will schließen und bald wieder schreiben, sey und bleibe mit allen unseren Kindern nur gesund und behaltet lieb Euren Alten.

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(Louis Gurlitt's schreibt an seine Frau Else am 6. Juni 1864 während seines Aufenthalts in Ekensund als malender Kriegsberichterstatter im deutsch-dänisch Krieg, – Übertragung durch die Sütterlinstube Hamburg)

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